Das Schweigen der Lämmer
GASTKOMMENTAR VON PETER KAMPITS (Die Presse)
Bildung besteht nicht zuletzt in einer Kultivierung des Wissens, einer Kritik des Alltagswissens und einer Problematisierung des Selbstverständlichen.
Es ist schon einigermaßen seltsam, dass in der mehr als verkorksten Diskussion um eine Bildungsreform und vor allem eine Reform des Schulwesens überhaupt eingemahnt werden muss, über Bildung zu sprechen (Heinz Mayer in der „Presse“ vom 30. April).
Denn der bisherige Diskurs zu dieser Reform bewegt sich auf einer Ebene, die mit Bildung offenbar nicht im Entferntesten zu tun hat. Da geht es um die schulautonomen Tage, da geht es um gewerkschaftliche Forderungen, um einen nahezu phrasenhaften Katalog von Maßnahmen für die Zukunft, wie er von der Bildungsministerin vorgeschlagen wird, da geht es um Schülerstreik, um die Angst der Eltern, Urlaubstage nicht wie geplant konsumieren zu können, und nicht zuletzt auch um die Bedenken der Wirtschaft, wenn die bisherigen schulautonomen freien Tage wegfallen könnten und damit Hotellerie, Skiliftbetreiber, Wellnesscenter und Thermen, Fluggesellschaften und Reiseveranstalter Schaden erleiden.
Die Denunzierung der Lehrer als Freizeitkonsumenten, die Vorwürfe an die Schüler, deren Streikrecht bezweifelt wird, bewegen die Öffentlichkeit im Moment mehr als die tatsächliche Krise unseres Bildungssystems.
Der wahre Stellenwert von Bildung
Auch wenn sich plötzlich am Horizont Anzeichen mehren, dass Bildung etwas mehr sein könnte als Vorbereitung auf eine berufliche Existenz, schwebt den Gehirnen derer, die sich für Experten halten, die Einbindung der Absolventen an die wirtschaftlichen Erfordernisse – als das einzige Ziel von Bildung – vor.
Eine Renaissance von Bildung, wie sie sich in einer Erneuerung des sogenannten Bildungsbürgertums anzubahnen scheint, verfehlt aber ebenso den entscheidenden Stellenwert von Bildung wie deren Reduktion auf rein berufliche Ausbildung, auf die berühmte „Employability“.
Da ist die Rede von einer Renaissance des Lateinunterrichtes, des Trends zu Privatschulen, eines Beschwörens der Wissensgesellschaft, ohne die keine Politikerrede mehr auszukommen scheint, um schließlich doch in das Bekenntnis zu münden, dass das Bildungskapital in ökonomisches Kapital (Pierre Bourdieu) umgesetzt werden könne (vgl. „Die Presse“ vom 3. Mai). Dies liegt sogar auf der Linie der Bildungsreformer der Europäischen Union, die in ihrem Weißbuch formuliert hatten: „Allgemeinbildung ist der erste Faktor der Anpassung an die Entwicklung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes.“
Man sollte mit dem Begriff des Bildungsbürgers auch nicht allzu sorglos umgehen, schließlich gab es vor nicht allzu langer Zeit einen Run auf Volkshochschulen und Arbeiterbildungsvereine, die mehr als berufsvorbereitende Kurse vermittelten; und als eine der Aufgaben der Schulen wird nach wie vor die Erziehung zum Wahren, Guten und Schönen in den Mittelpunkt gerückt wie auch die Notwendigkeit der Vermittlung demokratischer Grundwerte.
Punktesysteme prägen die Diskussion
Dass der derzeitige Reformeifer sich in Worthülsen wie dem Erwerben von Medienkompetenz, Teamfähigkeit und Kommunikationsbereitschaft erschöpft, ist nichts Neues. Universitäten wissen davon nur ein allzu trauriges Lied zu singen. Ein besonders augenfälliges Beispiel ist nicht zuletzt die Rede von den Bildungsstandards, eng verbunden mit dem nahezu religiös anmutenden Starren auf PISA und die entsprechenden Rankings. Ein empirischer Beleg für Qualitätssteigerung der Schulbildung durch die Bildungsstandards steht nach wie vor aus. Scheinbar objektive Rechenschaftssysteme treten an die Stelle von qualitativen Untersuchungen. Die viel gerühmten Evaluierungen stützen sich wie PISA auf quantitative Indikatoren, als ob Bildung messbar sei.
Man meint dem Coaching einer Leadership-Academy ausgesetzt zu sein, in dem Wettbewerb, Spenden der Eltern, Anzahl der Werbetafeln und Sponsoren ausschließlich maßgeblich sind. Eigentlich müsste man ein Lob jenen Schülern aussprechen, die die Teilnahme an PISA verweigerten. Dass ein eigens eingerichtetes Beschäftigungsinstitut für Experten wie das BIFIE (Institut für Bildungsforschung, Innovation und Entwicklung) dann sogar mit Klage droht, zeugt von der Armut und Kläglichkeit, in der die Bildungsdiskussion zu versanden droht. Wer davon profitiert, sind allein Beratungsinstitute, Akkreditierungs- und Testagenturen.
Solange das Starren auf betriebswirtschaftliche Grundsätze und ihre Indikatoren Kennzahlen, Punktesysteme, Impact-Faktoren, Kosten-Nutzen-Rechnungen bis zu Systemanalysen und Wissensbilanzen die Diskussion prägt, wird es auch hier keine wesentliche Änderung geben. Pädagogisches Handeln unterliegt nämlich einer anderen Rationalität als Dienstleistungshandeln.
Damit wird die Bildungsidee – die durchaus nicht auf Humboldt, dem Schreckgespenst der gegenwärtigen Pädagogik – reduziert werden muss, paradoxerweise von der Wissensgesellschaft verabschiedet. Schon Immanuel Kant hatte fehlende Urteilskraft als eine Form der Dummheit bezeichnet.
Reformiert bitte nach rückwärts!
Bildung wird als Erwerben von sogenannten „soft skills“, als „learning on demand“, als Erwerben von Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen, was immer das sein soll, missverstanden, während sie nicht zuletzt in einer Kultivierung des Wissens, einer Kritik des Alltagswissens und einer Problematisierung des Selbstverständlichen besteht.
Wenn schon reformieren, so reformiert bitte nach rückwärts! Und fragt bitte doch die Lehrer, und nicht die schulexternen Experten!
Vielleicht gibt es dann eine Chance, zumindest das Schweigen über Bildung und das, was sie bedeuten könnte, zu durchbrechen.
Univ. Prof. Dr. Peter Kampits ist Professor für Philosophie an der Universität Wien und Altdekan an der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft.
meinung@diepresse.com ("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2009
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